Mit einer sogenannten “Nachwahlumfrage” hat Tamedia das Wahlverhalten der Schweizer Bevölkerung versucht zu ergründen. Ein wunderbares Beispiel für schlechte Befragungsmethodik. Als Sozialwissenschaftler möchte ich auf einige methodische Probleme hinweisen.

Die folgende Frage ist exemplarisch für viele Umfragen in den Online-Medien. Sie ist ein gutes Beispiel weil darin verschiedenste befragungstechnische Grundsätze missachtet werden.

1. Eine geschlossen Frage mit Einfachauswahl sollte immer alle denkbaren Antworten umfassen.

In diesem Fall sind sicher nicht alle möglichen Antwort auf die gestellte Frage abgebildet. Wie soll denn zum Beispiel eine Person die Frage beantworten, die Greta Thunberg gut aber nicht super findet?

2. Bei einer geschlossen Frage mit Einfachauswahl sollten die Antworten sich gegenseitig ausschliessen.

Man kann ohne inhaltlichen Widerspruch sowohl der ersten als auch der zweiten Antwortoption zustimmen. Der Befragte wird aber durch das Antwortvorgaben zu EINER Antwort gezwungen. Wenn ohne inhaltlichen Widerspruch mehrere Antworten möglich sind, so sollte auch eine Mehrfachantwort möglich sein.

3. Eine geschlossene Frage mit Einfachantwort sollte nur eine Dimension abfragen.

Diese Regel hängt mit der zweiten Regel zusammen. Die Hauptdimension in diesem Beispiel ist die Meinung zur Person Greta Thunberg von negativ bis positiv. Gleichzeitig wird aber mit der ersten Antwortoption die Rolle der Medien und bei der mit der dritten Antwortoption auch noch die Meinung zum Thema Klimawandel irgendwie mit den Antwortmöglichkeiten “verwurstelt”. Aus
“Wie denken Sie über die Klima-Aktivistin Greta Thunberg?”
wird so
“Wie denken Sie über die Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die mediale Berichterstattung über sie und die Klima-Frage im allgemeinen?”

4. Eine geschlossene Frage mit einem metrischen Antwortspektrum (z. B. “finde ich sehr gut bis finde ich sehr schlecht”) sollte eine ausgeglichene Antwortskala aufweisen.

Ansonsten wird das Antwortbild durch die möglichen Antworten verzerrt. Wenn man die Antwortoptionen auf eine Skala von 1 bis 10 verteilt sieht das in etwa wie folgt aus:

Eine Person, welche auf einer skalierten Frage mit 3 oder 4 antworten würde, kann die gestellt Frage nur stark verzerrt beantworten.

Fazit: Wer das Meinungsbild zu einem komplexes Gegenstand erfragen will muss unbedingt mehrere Fragen stellen oder das Meinungsbild mit einer offenen Frage (Textantwort) erfragen.


Ein weiterer wichtiger Hinweis ist, die Tatsache, dass es sich bei der Nachwahlumfrage eigentlich um eine Vorwahlumfrage handelt. Die Leute wurden nähmlich am Wahlwochenende befragt. Viele haben zu diesem Zeitpunkt sicher schon gewählt, aber die Befragung fand vor der Bekanntgabe der Wahlergebnisse statt. Dieses Vorgehen ist natürlich nicht problematisch, um im Sinne von Exit-Polls schnellere Wahlergebnisse ermitteln oder zum Beispiel die Wählerströme oder das Wahlverhalten in unterschiedlichen demografischen Kategorien erheben möchte.

Problematisch wird es aber, wenn Fragen beantwortet werden sollen, welche immanent vom Wahlergebnis abhängen. Der Titel des Artikels spricht aber genau auf eine solche Frage an. Die Frage ob die Grüne Partei einen Bundesrat haben soll ich sicher für viele Wähler nicht ganz unabhängig von der Frage, was den der Wahlanteil der Grünen Partei effektiv ist.